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Foto(Schwenk): Ingrid Beck, Landpastoral Schönenberg

Sich etwas von der Seele schreiben

Sibylle Schwenk 

Wenn man einen geliebten Menschen verliert, ist es oft sehr schwer, mit der einsetzenden Trauer zurecht zu kommen. Manches ist vielleicht nicht ausgesprochen worden, manches bliebt offen oder ungeklärt. Und manches kann man gar nicht aussprechen, weil die passenden Worte nicht so schnell gefunden werden. Ingrid Beck, Mitarbeiterin und Seelsorgerin bei der Landpastoral Schönenberg, geistliches Zentrum im Dekanat Ostalb, bietet deshalb die „Schreibwerkstatt für Trauernde“ an. Wir haben nachgefragt, wie diese besondere Form der Trauerarbeit funktioniert.

Liebe Frau Beck, wie ist denn die Idee entstanden, eine Schreibwerkstatt für Trauernde ins Leben zu rufen?

Ingrid Beck: Gemeinsam mit meinem Ludwigsburger Kollegen Wolfgang Müller habe ich für den Katholikentag in Stuttgart zwei Workshops entworfen und angeboten. Wir spürten da schon eine tolle Dynamik durch die besonderen Methoden, und deshalb wollte ich das auch hier vor Ort umsetzen.

Welches Ziel verfolgt die Schreibwerkstatt für Trauernde?

Trauer braucht Zeit und ist eine Selbsthilfereaktion, sie ist aber anstrengend und oft lästig für die Trauernden, aber auch für das Umfeld, das Trauernden oft signalisiert: „Jetzt müsstest du aber langsam wieder normal sein!“ Die Schreibwerkstatt bietet eine Möglichkeit, sich mit der eigenen Trauer zu beschäftigen – das ist wie ein „Date“ mit der Trauer.  Dabei geht es weniger darum, mit anderen über die eigene Trauer zu sprechen, hier bleibt alles beim Trauernden selbst. Das ist ein anderer Ansatz. Ich beschäftige mich mit mir selbst und dem, was mir auf der Seele liegt. Ich kann nachholen, was noch offen war mit dem oder der Verstorbenen. Eine ältere Frau, Teilnehmerin der Schreibwerkstatt, sagte zu mir: „Mein Mann ist so plötzlich gestorben – und jetzt konnte ich ihm nochmal durch das Schreiben ‚sagen‘, wie wichtig er mir war.“

Welche Methoden kommen in der Schreibwerkstatt zur Anwendung?

Eine Methode nennt sich „Flying pencil“. Man schreibt einfach drauf los, 20 Minuten lang. Zu Beginn überlegt man sich einen Füllsatz, z. B. ‚Ich weiß nicht weiter‘. Es ist erstaunlich, wie lange man schreiben kann und wie viel an Gedanken da aufs Papier kommen.

Eine weitere Methode ist das so genannte „Akrostichon“.  Hier schreiben die Teilnehmenden, wie in einem Kreuzworträtsel, zu jedem Buchstaben etwas, das einen selbst als Person beschreibt und das zu dem Augenblick passt. Das können Eigenschaften oder Befindlichkeiten, Fähigkeiten, Vorlieben oder Werte sein. Der Augenblick ist deshalb so wichtig, weil ein Akrostichon an einem anderen Tag vielleicht ganz anders aussehen kann. Bei mindestens zwei Buchstaben sollen Ressourcen benannt werden, die einem Kraft geben. Die Anfangsbuchstaben sind die Buchstaben des eigenen Vornamens.

Und es gibt noch eine dritte Herangehensweise?

 

Ja, und das ist das Erstellen einer „Sestina“. Die Sestina ist eine Art formales Gedicht, das auf einer genauen Sprachstruktur beruht. In einer Sestina muss der Autor/die Autorin sechs verschiedene Wörter aus der vorangegangenen Methode auswählen, die als letztes Wort in jeder Zeile des Gedichts verwendet werden. In der nächsten Strophe verschieben sich die Wörter der Reihe nach. Dieser Vorgang wird bis zur sechsten Strophe fortgesetzt. Im letzten Terzett enthält jede Zeile jeweils zwei Wörter, die jedoch nicht mehr am Ende der Zeile stehen müssen.