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Foto (Stauferklinikum): Annekatrin Schulze und Benedikt Maier

„Ich hoffe inständig, dass er bei uns ist“

Sibylle Schwenk in der Reihe „kreuz und quer“ der Remszeitung

Klinikalltag:  Menschen erfahren, dass sie unheilbar krank sind und stehen vor einer Situation, die sie so noch nie erlebt haben. Man überdenkt das eigene Leben, stellt die Sinnfrage. Auch wenn sich der/die Kranke von Gott abgewendet hat, kommt er nun wieder ins Spiel. Man geht in die Klinikkapelle und sucht Hilfe oder eine Antwort im Dialog mit Gott.

Ein Gespräch in der Reihe „kreuz und quer“ mit den Klinikseelsorgern am Stauferklinikum Schwäbisch Gmünd, Annekatrin Schulze und Benedikt Maier.

Was bewegt die Menschen in einer Situation, wo es „um Leben und Tod“ geht, am meisten?

Schulze: Das ist sehr individuell. Ältere Menschen können manchmal auf eine belastende Situation gelassener zugehen. Sie treibt eher die Sorge um, wie sie jetzt noch gut weiterleben können, ohne jemandem zur Last zu fallen. Jüngere Menschen dagegen hadern dann öfter mit ihrem Schicksal, sie haben Angst und trauern, dass sie nicht mehr am Leben teilnehmen können oder stellen sich die Frage wie Menschen, die ihnen nahestehen ihr Leben bestreiten werden.  

Maier: Der bevorstehende Tod konfrontiert uns mit unserer Endlichkeit. Den Prozess des Sterbens, das Lebensende, können wir nicht wirklich beeinflussen. Der Tod geschieht an uns. In diesem Augenblick stellen sich Menschen die existenziellen Fragen des Lebens: Was trägt mich? Was ist der Sinn meines Daseins? Generell kann man diese Fragen nicht beantworten, jeder Mensch muss seine eigene Antwort finden. Am Lebensende wird die Gegenwart, das Sein im Hier und Jetzt, immer wichtiger. Sterbende denken und leben im Augenblick. Besonders wichtig werden ihre Beziehungen: Wie reagiert meine Frau, mein Mann auf meinen baldigen Tod? Wie gehen die Kinder damit um?

Diese Phase des Haderns betrifft das Schicksal, aber sicher auch Gott…und die Menschen machen Gott verantwortlich für das, was mit ihnen passiert. Wie gehen Sie damit um?

Maier: Es ist ganz normal angesichts einer schweren oder gar nicht-heilbaren Diagnose mit Gott oder dem Leben im Allgemeinen zu hadern oder zu zweifeln. Irgendwo habe ich mal den treffenden Ausspruch gelesen: Es ist besser ehrlich zu zweifeln als unehrlich zu glauben. Der Zweifel ist kein Verrat am Glauben. Ganz im Gegenteil. Der amerikanische Autor und reformierte Theologe Frederick Buechner bringt diese gesunde Notwendigkeit des Zweifels humorvoll auf den Punkt: „Zweifel sind die Ameisen in der Hose des Glaubens; sie halten ihn wach und in Bewegung. “ Dies versuche ich in meinen Begegnungen am Krankenbett zu vermitteln.

Schulze: Ich muss oft ganz offen gestehen, dass ich selbst ratlos bin, dass vielleicht auch Gott ratlos ist. Manche Diagnosen sind womöglich zu schlimm, dass ein Mensch seinen Frieden mit Gott machen kann. Dennoch ist er, so hoffe ich inständig, bei uns und erträgt still das Leid mit uns.  

Spielt der Glaube in solchen Situationen wieder eine Rolle oder eher gar keine mehr?

Schulze: Als Klinikseelsorgerin und Diakonin habe ich persönlich eine christliche Haltung, im Klinikalltag spielt die Religion oft aber eine eher untergeordnete Rolle.  Wir halten die Verzweiflung mit den Menschen aus und begleiten sie, egal welcher Religion oder auch überhaupt keiner Religion sich die Menschen hier zugehörig fühlen. Auch wenn der Glaube in schweren Zeiten für manche keine Rolle spielen mag, für mich tut er es natürlich. Wenn ich in ein Krankenzimmer eintrete, dann gehe ich mit der Annahme: Gott ist schon da, er bleibt auch, wenn ich wieder gehe. Dieses Gottvertrauen trage ich unbewusst auch nach außen.

Maier: Es herrscht weit über den kirchlichen Kontext hinaus Konsens darüber, dass ganz allgemein Spiritualität ein wichtiger Resilienzfaktor in Lebenskrisen wie Krankheiten darstellen kann. Das Gefühl von Ohnmacht beschäftigt sehr viele kranke Menschen. Menschen können an einer Krise zerbrechen. Aber manchmal entsteht auch eine neue Kraft.

Helfen den Menschen Gebete?

Schulze: Auch das lässt sich nur individuell und situativ beantworten. Mir ist, wenn ich an die Situation eines Sterbenden denke, der sich selber nicht mehr verbal äußern kann, wichtig zu eruieren, welche Rolle Religion in seinem Leben gespielt hat und ob er selber womöglich einem Gebet zugestimmt hätte. Es gibt viele Momente, in denen ich Gebete mit Patient*innen und Angehörigen als sehr besonders wahrgenommen habe. Als Kraftquelle, Trost, die Möglichkeit Dank und Trauer auszudrücken, ritualisiert im Vater Unser oder aber durch die Worte des Seelsorgenden, der die Gefühle benennen kann, die mich bewegen.

Maier: Aus der seelsorgerlichen Begleitung am Krankenbett kann am Ende eines Gesprächs ein Gebet oder ein Ritual wie die Krankenkommunion oder der Krankensegen erwachsen. Da gibt es allerdings keinen Automatismus. „Ich bete, wie mir der Schnabel gewachsen ist“, pflegte meine Großmutter gerne zu sagen. Manchmal gelingt es, dass neben den gewohnten Gebeten wie dem Vater unser ein ganz persönlich formuliertes Gebet am Krankenbett gesprochen wird. Im Idealfall vom Patient:in selbst.