Den Hilfeschrei der Seele hören
Sibylle Schwenk in der Reihe „kreuz und quer“ der Remszeitung
Die Welt ist grau. Es gibt keine Farben mehr, keine Freude, auch keine Tränen. Menschen sind ausgebrannt. Frauen und Männer fühlen sich überlastet, gestresst, müde, erschöpft, zu nichts mehr fähig. Stress und Burnout scheinen zum neuen Volksleiden zu werden. Von einer Verdoppelung der Krankschreibungen aufgrund einer psychischen Erkrankung, zu denen auch der Burnout gehört, sprechen Erhebungen der Krankenkassen. Auf unterschiedlichen Wegen finden Betroffene wieder heraus aus diesem Ausgebranntsein, zum Beispiel, in dem sie seelsorgerliche und therapeutische Beratung in Anspruch nehmen. Sie lernen auf diesem Weg, einen tieferen Einblick in die Beweggründe ihrer Seele zu finden, entdecken Hintergründe, zerstörerische innere Haltungen. Kann auch der christliche Glaube helfen, einen Weg aus dem Burnout zu finden? Darüber kommen die katholische Betriebsseelsorgerin Karolina Tomanek und der evangelische Pfarrer Thomas Adam ins Gespräch.
Wie erleben Sie die Menschen, die zu Ihnen wegen eines Burnouts kommen?
Tomanek: Die Menschen sind kraft- und hilflos. Oft wissen sie einfach gar nicht, was mit ihnen los ist, weil sich auch körperliche Beschwerden zeigen. Meist haben Menschen im Burnout schon eine längere Leidensphase hinter sich.
Adam: Es sind oft hoch motivierte Frauen und Männer, die ganz schleichend abrutschen. Der Tank ist leer, sie fahren sozusagen auf Reserve und wollen dennoch Vollgas geben. So lange, bis sie zusammenklappen. Und wenn man dann lichterloh brennt, wird alles schwierig.
Was passiert innerlich, wenn man in den Burnout rutscht?
Adam: Die Beziehung zu sich selbst geht verloren. Man fühlt keine Wertschätzung mehr und denkt immer, man muss etwas leisten, um geliebt zu werden. Und zwar nicht nur im Beruf. Das betrifft auch die Bereiche Familie, Gesundheit, Soziale Kontakte, Hobby und auch den Glauben.
Tomanek: Wenn man keine Beziehung mehr zu sich selbst hat, wird es auch schwierig, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Nicht mehr zu spüren, was man selbst will oder braucht, um glücklich zu sein, das treibt die Menschen in all den Feldern in den Burnout.
Welche Stärke oder Gabe des Glaubens kann im Burnout ihrer Ansicht nach helfen?
Adam: Wir können als Christen darauf vertrauen, dass Gott als erstes „Ja“ zu mir gesagt hat. Ich muss nichts dafür tun, um von Gott geliebt zu werden. In Kontakt mit der Wertschätzung Gottes zu kommen kann dabei helfen, sich selbst auch wieder wert zu schätzen und bei sich anzukommen. Wenn man fühlt, dass man von Gott gehalten ist, kann sich wieder eine eigene Haltung entwickeln.
Tomanek: Obwohl der Glaube in der praktischen Arbeit kaum mehr eine Rolle spielt, spüre ich schon, dass Menschen auf der Suche sind, auf etwas, das über einen selbst hinausgeht. Und wenn die Betroffenen es wollen, dann reden wir auch über den Glauben zu Gott, der aus meiner Sicht als Theologin natürlich weiterhelfen kann.
Dass Menschen sich in ihrer Verzweiflung an Gott wenden, das zeigt ein Blick in die Bibel…
Adam: Die Bibel beinhaltet tatsächlich Texte, die uns in jeder Situation Sprache verleihen. Besonders die Psalmen. Zum Beispiel der Psalm, 22 Vers 16: „Meine Kehle ist ausgedörrt und die Zunge klebt mir am Gaumen“. Oder der Psalm 69 Vers 5: „Viele hassen mich und meine Feinde sind zahlreicher als die Haare auf meinem Kopf“.
Welche Tipps können Sie geben, um frühe Anzeichen eines Burnouts zu erkennen bzw. diesen abzuwenden?
Tomanek: Wenn man spürt, dass die Arbeit nicht mehr zu einem passt, wenn die Selbstwirksamkeit fehlt, wenn man nicht mehr das tut, wozu man berufen ist. Nichtzuletzt: Wenn ich nicht mehr spüre, was ich selbst brauche und wie es mir geht. Das sind Anzeichen, die ernst zu nehmen sind und in einen Burnout führen können. Als Tipp kann ich geben, dass man achtsam in den Tag geht und auch die schönen Momente wahrnimmt. Davon gibt es meist auch eine ganze Menge, wenn man sie nur sieht.
Adam: Es ist der schwindende Zugang zur Freude, der ein Anzeichen sein kann. Und der Verlust der Erkenntnis, wie es mir selbst geht. Nehmen sie den Hilfeschrei ihrer Seele ernst! Als Tipp kann ich sagen: Halten sie mehrmals am Tag inne und überlegen sie kurz, wie es ihnen jetzt gerade geht. Sammeln sie die Perlen des Alltags.