Barmherzig und achtsam sein
Sibylle Schwenk in der Reihe „kreuz und quer“ der Remszeitung
Keine Wohnung, keinen Rückzugsort zu haben, bedeutet das Ende einer Spirale aus Katastrophen. Da sind Beziehungen zerbrochen, da ist der Arbeitsplatz verloren gegangen und Zuflucht in Drogen gesucht worden. Doch auch für wohnungslose Menschen sollen all diese Katastrophen nicht das Ende sein. Ein Netzwerk aus kommunalen und kirchlichen Einrichtungen fängt Frauen und Männer auf, denen nichts mehr geblieben ist. In seinem ehrenamtlichen Engagement ist Clemens Beil unermüdlich damit befasst, Spenden für die dringende Renovierung der Caritas-Wohnungslosenhilfe St. Elisabeth zu sammeln. Martina Häusler kümmert sich sowohl als Kirchengemeinderätin, als auch in ihrem politischen Amt als Grüne Landtagsabgeordnete, besonders um das Thema „Wohnen“. Ein Gespräch über Menschen, die keine Stimme mehr haben, über die Verantwortung von Christen gegenüber wohnungslosen Menschen und Barmherzigkeit.
Sie beide engagieren sich sehr für wohnungslose Menschen. Worin liegt ihre Motivation?
Clemens Beil: Ich empfinde wohnungslose Menschen als besonders schützenswert. Sich um Schwächere zu kümmern ist ein Grundauftrag von uns Christen. Das sollten wir dann auch in die Tat umsetzen.
Martina Häusler: Mir ist es wichtig die Stimme für diejenigen zu erheben, die man oft vergisst. Und dabei will ich nicht über die Menschen sprechen, sondern mit ihnen. Besonders schlimm ist es, wenn sich Familien in prekären Situationen befinden. Bezahlbaren Wohnraum zu finden muss deshalb unsere größte Motivation sein.
Was hat sich in den Unterkünften der Wohnungslosenhilfe geändert und wo sollte man noch nachjustieren?
Beil: Ich bin seit 2001 Vorsitzender des Fördervereins St. Elisabeth. Damals hatten wir noch Stahlrohrbetten. Jetzt bemühen wir uns um eine wohnlichere Atmosphäre, damit die Menschen auch wieder Lust auf Wohnen bekommen. Mit unserer Wohngemeinschaft für ältere Männer in St. Martin haben wir auf den Bedarf reagiert, dass es alte Menschen gibt, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr auf der Straße leben können, denn sie hat ihre Spuren hinterlassen. In diesem Haus können sie einen würdigen Lebensabend verbringen.
In Schwäbisch Gmünd gibt es gute Partner:innen, die mit ihrer Arbeit ineinander greifen. Wo gibt es noch Handlungsbedarf? Wo ist die Not am größten?
Häusler: Man vergisst häufig die jungen Familien, die in katastrophalen Unterkünften leben müssen. Es muss so viel Energie aufgewendet werden, wenn man sich dauernd darum kümmern muss, wie man es einigermaßen aushalten kann. Da bleibt kein Platz für die Entwicklung der Kinder.
Beil: Die Menschen, die nicht mehr auf der Straße leben können, weil sie krank sind. Bei ihnen ist die Not besonders groß. Aber es sind auch Frauen und Jugendliche, die aus verschiedenen Gründen keine Familie mehr haben, denen wir dringend helfen müssen.
Welcher christliche Auftrag steckt hinter dem Engagement für Wohnungslose?
Beil: Es ist der Auftrag barmherzig zu sein gegenüber unseren Mitmenschen und denen, die es nötig haben, in ihrer Not zu helfen. Die kirchlichen Wohlfahrtsverbände Diakonie und Caritas sind die Handelnden in Sachen Wohnungslosenhilfe. Doch Verband und Kirchengemeinden laufen öfter – zumindest bei uns Katholiken – nebeneinander her. Wenn unsere Kirche als barmherzige Kirche sichtbar wäre, dann wäre ihre Anerkennung viel größer.
An welchem Punkt der Abwärtsspirale halten sie es für nötig anzusetzen, damit man erst gar nicht in die Wohnungslosigkeit rutscht?
Häusler: Wir haben hier gute Angebote! Aber die Hemmschwelle, Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist groß. Es wäre wichtig, sich früher um Unterstützung zu kümmern, und nicht erst dann, wenn das Geld plötzlich nicht mehr reicht.
Beil: Wir müssen alle achtsamer sein gegenüber unseren Mitmenschen. Dann erkennt man manchmal schon solche Unebenheiten, die eventuell zu Schlimmerem führen. Vielleicht kann dann Hilfe vermittelt werden, bevor es zum Verlust der Wohnung kommt.